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Hélène de Beauvoir im Musée Würth France Erstein
Ein Fest für Augen, Herz und Seele
Die Besichtigung der Ausstellung führte uns hinaus aus dem idyllischen Obernai, hinab in ein rund 12 Kilometer entferntes Industriegebiet am Rande von Erstein. Noch erstaunlicher als die etwas unwirtliche Umgebung ist das Musée Würth France Erstein selbst: Ein Gebäude mit Glasfassade, dennoch von außen beinahe hermetisch wirkend, aber innen überraschend licht.
In diesem Moment spielt die Architektur für uns jedoch eine Nebenrolle, denn wir sind zur Preview der Ausstellung Hélène de Beauvoir. Künstlerin und engagierte Zeitgenossin eingeladen und möchten die Zeit nutzen, bevor die angekündigten 1.000 Gäste zur offiziellen Eröffnung ankommen.
Tatsächlich ist es schon recht voll, als wir den ersten Saal betreten und wichtige Arbeiten aus den späten 1960er und 1970er Jahren zu sehen bekommen. Vor einigen der markanten, manchmal verstörenden Gemälde stehen Gruppen von Menschen, hören Erläuterungen auf Französisch – viel zu schnell, um sie im Vorbeigehen zu verstehen.
Aber wir kennen die Geschichte von Hélène de Beauvoir, wissen, worum sich in dieser Periode vieles dreht: Um die kritische Beleuchtung der Stellung der Frau in der Gesellschaft, um die Auseinandersetzung mit den Studentenrevolten der späten Sechziger und um die Zerstörung der Natur. Viele Werke bestechen durch ihre Farbigkeit, manche Motive wirken fast gespenstisch prophetisch. Eine echte Neuentdeckung sind die ausgestellten großflächigen Gobelin-Entwürfe.
Dann geht es hinauf in die erste Etage und die Spannung steigt. Oben stockt uns wirklich der Atem, denn mit einer solchen Farbexplosion haben wir nicht gerechnet. Geordnet nach Themen lässt sich die Entwicklung der Malerei von Hélène de Beauvoir nachvollziehen.
Wir sehen, wie sich ihr markanter, luzider Stil in Marokko entwickelt und sich in den 1950er Jahre unverwechselbar und traumhaft schön zur Blüte entfaltet.
Viele spektakuläre Werke aus dieser Zeit sind zu sehen, die meisten von ihnen entstanden in Italien – in der Poebene, auf Sardinien, in Venedig, in den Alpen. Präsentiert in diesem großzügigen Raum auf taubenblauen Wänden entwickeln sie eine Wirkung, der man sich nicht entziehen kann.
An einer Position im Saal kann man sich um die eigene Achse drehen und Stück für Stück sehr viele Exponate erfassen, sofern der Raum nicht zu voll ist. In jedem dieser Bilder kann man versinken, ungeahnte Details erkennen und bei der nächsten Runde wieder andere Dinge entdecken.
Es gibt eine zweite Stelle im taubenblauen Saal, bei den Ski- und Schneebildern. Hier schweift der Blick nicht so weit, aber der Effekt ist ähnlich. Jedes Gemälde birgt ein Geheimnis, das man nie ganz entschlüsseln wird. Und jedes einzelne berührt auf eigene Weise. Es ist ein Fest, ihre Werke in dieser Fülle und dieser Lebendigkeit zu sehen: für die Augen, für das Herz und für die Seele.
Wir schauen uns auch die Stiche und Holzschnitte an, begeistert von der Kunstfertigkeit und Eleganz. Wir sehen die Acrylbilder aus den 1970er Jahren, fasziniert von der völlig anderen Ausdrucksform.
Doch immer wieder kehren wir in den taubenblauen Saal zurück, schauen von einem Bild zum anderen. Bei der letzten Runde fällt es schwer, sich zu lösen. Eine Sehnsucht bleibt. Und sie sollte gestillt werden – mit mindestens einem weiteren Besuch.
Text: Sabine Schlüter
Fotos: Ulrich Schwenn